Jesus als Pädagoge und der Einzelne

Von Hartmut Jaeger und Henrik Mohn

In den vorangegangenen beiden Ausgaben wurden sowohl Prinzipien geistlicher Prägung als auch die erzieherische Komponente des Handelns Jesu als Pädagoge beleuchtet. Vater-Abhängigkeit, Alltags-Transparenz sowie seine Herzens-Führung und seine Brückenbauertätigkeit als Erzieher standen im Fokus der Ausführungen. Im 3. Teil soll es nun um Jesu Handeln mit dem Einzelnen gehen, um daraus Handlungsschritte für die gegenwärtige Bildungsherausforderung in den Klassenzimmern der Nation abzuleiten.

Mit dem Wandel in der Bildungspolitik stehen Pädagogen vor neuen Herausforderungen. Nicht mehr der Mensch als Ganzes, sondern die Aufsplitterung in einzelne – an das jeweilige Leistungsniveau angepasste – Kompetenzraster zur individuellen Förderung sind Schlaglichter heutiger Pädagogik. Diese pädagogische Not zwingt uns zur Befragung der Bibel nach pädagogischen Hilfen. Gottfried Meskemper hat vor einigen Jahren bereits treffend formuliert: „Wir benötigen nichts so sehr wie eine integrative, vertrauensweckende Pädagogik – und eine Persönlichkeit, die diese Pädagogik glaubwürdig gelebt und verstehbar gelehrt hat. Sie darf weder schönfärberisch noch demotivierend vorgehen. Vieles, gerade in der Pädagogik, ist weniger beschreibbar als vielmehr von der Ausstrahlung der Schlüsselfigur abhängig.“[1]

1. Jesus kennt uns

Jesus hat kein Problem, sich mit Sterblichen wie uns zu befassen. Im Gegenteil, er identifiziert sich mit der ganzen Menschheit, mit jedem Einzelnen aus jeder ethnischen Gruppe, jedem Stamm, jeder Sprache und Nation.[2] Deshalb versteht er auch unsere Kämpfe mit den niveaudifferenzierten Herausforderungen. „Jesus weiß, was es bedeutet, auf der Erde zu leben. Er arbeitete, schwitzte, hatte Hunger und wurde versucht wie wir. Er kannte die ganze Gefühlspalette wie wir – Freude und Frieden, Traurigkeit, Enttäuschung und tiefste seelische Not. Er erlebte Kränkungen von denen, die er am meisten liebte, er wurde verlassen und er identifizierte sich mit unserem mentalen Stress. Er war zu hundert Prozent Mensch. Dies war einer der Gründe, weshalb er vom Himmel herabkam und menschliche Gestalt annahm: um uns zu zeigen, dass er wirklich versteht, was es heißt, einer von uns zu sein.“[3] Und genau aufgrund dieser Tatsachen ist er der einzige Lehrer, der den Menschen und seine Bedürfnisse durch und durch kennt. Er wusste um die Absichten seiner Gesprächspartner und Verstand die Nöte und Fragen seiner Schüler. Deshalb konnte er wie kein anderer das Vorwissen seiner Schüler berücksichtigen. Auch uns als Pädagogen ist klar, dass ein römischer Hauptmann ein anderes Vorwissen mitbringt als ein Schriftgelehrter. Aber was sie nun tatsächlich wussten, konnte nur der Menschenschöpfer Jesus genau beurteilen.

2. Jesus und die Differenzierung

Unsere Bildungspolitik wurde durch die Schulvergleichsergebnisse wie PISA und TIMMS um das Jahr 2000 kalt erwischt. Dies hatte zur Folge, dass sich die staatliche Sicht grundlegend wandelte. Aus stoff-inhaltlich geprägten, traditionellen Lehr- oder Rahmenplänen wurden kompetenzorientierte Bildungspläne.[4] Doch was hat das mit Jesus Christus zu tun? Auch er hatte eine Sicht für die Themen und Bedürfnisse, die seine Zeitgenossen beschäftigten. Gleichermaßen hatte er einen Blick für das große Ganze, aber auch für den Einzelnen. So berief er aus der Menge eine Kerngruppe von Jüngern (seine Klasse), die sein Leben beobachten sollten. Dabei wählte er Männer aus, die nicht durch den Unterricht irgendeines Rabbis vorgeprägt waren. Heutige Pädagogen haben es nicht mehr so leicht. Die Heranwachsenden haben diverse Moralvorstellungen, die dem Wort Gottes widersprechen. Hier ist Anleitung zum Nach- und Umdenken gefragt. Jesus hatte sich einfache Männer ausgesucht, die aufgeschlossen, kraftvoll und leicht zu motivieren waren. Auch heutige Jugendliche besitzen ähnliche Eigenschaften – oder wir müssen diese Kompetenzen gemeinsam entdecken und fördern.

 

Jesus hatte ein Differenzierungsmodell (ähnlich der Kompetenzraster der Bildungspolitik). Es lässt sich gut in zentrischen Kreisen um seine Person vorstellen.

Als Pädagoge praktizierte Jesus also Führung mit Weitblick, was sich im Umgang mit den Menschen seiner Zeit beobachten lässt.

3. Jesus und seine Differenzierungsmethoden

Schon in der Art, wie der Gottessohn den einzelnen Menschen begegnete, zeigt sich seine Fähigkeit der individuellen Wahrnehmung. So beginnt das Gespräch mit Nikodemus ganz anders als das mit der Frau am Jakobsbrunnen. Auf den suchenden Zöllner Zachäus reagiert Jesus anders als auf die spitzfindigen Fragen eines Schriftgelehrten. Mal sucht Jesus das Verbindende und baut Brücken, wie zum Beispiel mit seiner Bitte um Wasser bei der Frau am Brunnen. Ein anderes Mal stellt er eine schockierende Behauptung auf – so wie bei Nikodemus. Bei Zachäus reicht schon ein Blick, um ihn aufzufordern. Dem Schriftgelehrten, der ihn mit der Frage nach dem ewigen Leben konfrontiert, stellt er die Gegenfrage nach dem Gesetz und schließt daran das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter an. Von dieser Vielfalt können wir lernen. Wir dürfen um Weisheit bitten, dass wir die richtigen Reaktionen, Handlungsweisen und Strategien entfalten, um die Heranwachsenden in ihren individuellen Kompetenzen zu fördern.

In Bezug auf die Formulierung von Aufgabenstellungen, die Übertragung von Verantwortung und das Miterleben wusste Jesus ebenfalls zu differenzieren. Judas Iskariot machte er zu seinem Finanzminister, weil der Lehrer Jesus ihm helfen wollte, seine Schwachstelle zu korrigieren. Johannes erhielt den Auftrag, sich um die Mutter Jesu – Maria – zu kümmern, da Jesus als Sohn nach seinem Tod die Familie nicht mehr führen und versorgen konnte. Wer wäre besser geeignet dafür als der „Apostel der Liebe“? Das Trio Petrus, Johannes und Jakobus nahm er mit in den Garten Gethsemane, damit sie die wichtige Lektion des Wachens und Betens lernen sollten. Dieses Erlebnis war eine unvergessliche Lektion, wenn auch zunächst von wenig Erfolg gekrönt. Doch schlussendlich wurden sie die späteren Säulen der Gemeinde Gottes. Auch auf dem Berg der Verklärung war das Dreiergespann mit dabei. Mit den unterschiedlichen Aufgaben, Verantwortungen und Erlebnissen differenzierte Jesus, weil diese besonderen Lektionen von bestimmten Schülern gelernt werden mussten, die jeweils unterschiedliche Stärken und Schwächen besaßen. Für den Berufsalltag lässt sich hieraus die wichtige Frage ableiten, mit welcher Aufgabe wer betreut werden und welche Zielsetzung dabei verfolgt werden soll.

Auch bei der Niveaudifferenzierung im Unterricht kann Jesus mitreden. Er sprach mit einem Nikodemus ganz anders als mit Menschen, die keinerlei Vorwissen mitbrachten. Er wusste um das Lehren zwischen Über- bzw. Unterforderung, wobei jeder Unterricht eine Förderung des Schülers sein sollte. Jesus verteilte in seinen Unterrichtsstunden Wissensportionen mit Weitblick, weil er zielorientiert lehrte. Hierzu nutzte er unterschiedliche Fragetechniken.

Verschiedene Fragetypen bei Jesu Lehren:

  • W-Fragen oder Ja-Nein-Fragen, die Jesus spontan und entsprechend der Situation sowie seiner Zielsetzung mit der jeweiligen Person auswählte.
  • Rhetorische Fragen wie „Willst du gesund werden?“ an den 38 Jahre lang gelähmten Mann, um das Bekenntnis der Hilflosigkeit zu hören.[5]
  • Fragen, die die Aufmerksamkeit weckten und die Zuhörer in eine ganz bestimmte Richtung lenken sollten: „Was meint ihr aber?“[6]
  • Entscheidungsfragen, die seine Schüler dazu führten, Stellung zu beziehen: „Wollt ihr etwa auch weggehen?“[7]
  • Fragen, die die Lösung einer praktischen Aufgabe nach sich zogen: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“[8]
  • Fragen, die zum Nachdenken und Hinterfragen anregen sollten: „Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben …?“[9]

„Die Gespräche, die Jesus führte, trieben nicht einfach so dahin und landeten zufällig beim entscheidenden Punkt, sondern Jesus führte sie dahin. Jesus ist der Herr des Gesprächs und lässt sich die Gesprächsführung nicht aus der Hand nehmen. Das kann er nur, weil er die Gesprächsabsicht nicht nur unbeirrbar verfolgt, sondern dabei auch seinen Gesprächspartner ständig im Auge hat.“[10]

4. Jesus und die Methodenvariation

Jesus differenzierte auf allen möglichen Ebenen. Bei ihm gab es kein vorgefertigtes, starres Methodengebäude. Jesus war ein „Künstler der Methodenvariation“. Bei all seiner Vielfältigkeit und Spontanität sowie Situationsbezogenheit blieb er sich jedoch im Inhalt in allem treu. Weder in der Lehre noch in der Zielsetzung seiner Lehrtätigkeit gab es Abweichungen. Aber seine Methoden stimmte er in den unterschiedlichen Situationen auf den jeweiligen Menschen ab.

Das heutige Spektrum an Differenzierungsmöglichkeiten ist weitaus bunter, vielfältiger und facettenreicher als noch vor 2000 Jahren. Dennoch gilt es abzuwägen, was für den Einzelnen sinnvoll ist und mit welchem Ziel, damit er seinem Niveau sowie seinen Kompetenzen entsprechend gefördert wird. Im Optimalfall gelingt es dabei noch, das Folgende zu beachten: „Jesus verbreitet nicht Lehre an sich, keine Ethik, sondern seine Lehre hat immer unmittelbar mit Gott zu tun und betrifft zugleich das Leben der Zuhörer unmittelbar.“[11] Denn bei allem gilt doch eines: „Der christliche Glaube bietet als Erziehungsbasis die Voraussetzung, um Probleme zu lösen, die anderweitig nicht wirklich lösbar sind.“[12]

Hartmut Jaeger, Jg. 1958, ist verheiratet, Vater von drei Töchtern, ausgebildeter Lehrer, Geschäftsführer bei der Christlichen Verlagsgesellschaft in Dillenburg und Referent und Autor.

Henrik Mohn ist Realschullehrer an der Freien Evangelischen Schule Böblingen. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Anmerkungen:

[1] Meskemper, G. (1988): Jesus der Lehrer. Sein Vorbild für die Vorbilder der Gegenwart, Hänssler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart, S.10.

[2] Hitchcock, M. / Kinley, J. (2018): Der kommende Abfall vom Glauben. Die Sabotage des Christentums von innen, CV Dillenburg, S. 174.

[3] Ebd., S. 175.

[4] Vgl. http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/Bildungsplaene/BP2016BW_ALLG_LBH.PDF.

[5] Vgl. Johannes 5,7.

[6] Vgl. Matthäus 21,28.

[7] Vgl. Johannes 6,67.

[8] Vgl. Johannes 6,5.

[9] Vgl. Johannes 10,34.

[10] Meskemper (1988), S. 24.

[11] Ebd., S. 24.

[12] Geier, E.: Wozu braucht Pädagogik eine christliche Basis? In: VEBS-Akademie (2017): Profil schärfen. Grundlegende Gedanken zu einem christlichen Bildungsverständnis, CV Dillenburg, S. 23.

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