Jesus als Pädagoge - ein vollmächtiger Erzieher

von Henrik Mohn

Von Hartmut Jaeger und Henrik Mohn

In der Ausgabe Glaube+Erziehung 1/19 wurden die Prinzipien geistlicher Prägung beleuchtet, die Jesus Christus als Pädagoge auszeichneten. Hier soll es nun um den Schwerpunkt der Erziehung gehen.

Jesus lebte transparent und zeigte seinen Mitmenschen seine bedingungslose Abhängigkeit vom Vater. Seine Botschaft besaß Klarheit und war zielorientiert. Es zeichnete Jesus als Vorbild aus, dass er ein Leiter mit Herz war.

Die Frage nach einer spezifisch christlich orientierten Erziehung ist in jüngster Zeit sowohl an konfessionellen Bekenntnisschulen als auch an christlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen neu bedeutsam geworden.[i] Erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Einsichten haben dazu beigetragen, dass christliche Profilbildung neben „weltanschaulicher Neutralität“ genauso seine Daseinsberechtigung hat und weniger „ideologieverdächtig“ ist als noch in den 1970er-Jahren. Pirner zufolge haben „gesellschaftliche Entwicklungen wie Pluralisierung, Enttraditionalisierung und beschleunigter Wandel einen steigenden Orientierungsbedarf im Bereich Lebenssinn, Werte, Erziehung und Bildung ausgelöst.“[ii] Aufgrund der fehlenden festen Normen und Werte in unserer Gesellschaft ist es dringend notwendig, wieder ein festes Fundament unter die Füße zu bekommen.

1. Orientierungslosigkeit

Ein Kernproblem der modernen Pädagogik ist die Orientierungslosigkeit. Man ist sich uneins darüber, in welche Richtung man überhaupt erziehen soll, streitet aber intensiv darüber, wie man das am besten anstellt. Die sogenannte normative Pädagogik geht davon aus, dass es absolute Werte mit zeitloser Gültigkeit gibt, die von außen (z. B. von Gott) vorgegeben sind. Dieser Ansatz, von dem Christen überzeugt sind, wurde als unwissenschaftlich angesehen und verworfen. Gott betont aber: „Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.“ (5. Mose 6,6-7). Es war und ist somit der Auftrag Gottes an christliche Pädagogen, seine absoluten Normen der jungen Generation einzuschärfen. „Als Christen müssen wir die Zielfrage unbedingt wieder an die erste Stelle setzen, denn in Wirklichkeit geht es darum, dass wir in unserer christlich-normativen Pädagogik die Kinder zu Christus hin erziehen möchten.“[iii] Deshalb brauchen wir keine Konzepte einer von Gott entfremdeten Erziehungswissenschaft – auch nicht, wenn diese fromm angestrichen sind –, sondern wir brauchen biblisch gegründete, gottgemäße Erziehungsziele für unsere Kinder. Nicht umsonst ist Jesus die Zielfrage der Erziehung und das Vorbild des Pädagogen.[iv]

2. Jesus und das Wort

Bei Gott beginnt alles mit dem Wort. Nicht nur Nikodemus, sondern auch viele andere Menschen in den Evangelien bezeugen Jesu Lehrtätigkeit durch das Wort. Dieser Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Im Alten Testament findet sich der Begriff „lehren“ an die 40-mal. Gott selbst unterrichtete den ersten großen Leiter des Volkes Israel.[v] Er nutzte dabei das gesprochene und das geschriebene Wort, weil dies der Schlüssel zur Erkenntnis seines Willens ist. Gleich zu Beginn seines öffentlichen Wirkens ging Jesus in die Synagoge, den Ort, wo das Wort Gottes gelesen und gelehrt wurde.[vi] Die lehrmäßige Grundlage für alle weiteren Pläne war das Wort Gottes. Jesus verfolgte dabei drei Ziele:

  • Der Mensch soll den Willen Gottes erkennen,
  • um selbst danach im Alltag zu leben und
  • schlussendlich den Vater im Himmel zu ehren.

Durch seine Lehren wurde Jesus zum Brückenbauer, damit der Mensch zur Versöhnung mit Gott kommen kann. Für christliche Pädagogen ist dies wohl das größte Erziehungsziel und meist auch der Herzenswunsch, denn die junge Generation soll Jesus als Brücke zu Gott erkennen und ihn als den Weg zum Vater beschreiten. Jesus hat den Menschen deutlich gemacht, dass das Wort Gottes der Wegweiser zum Heil ist: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben“ (Johannes 5,24). Daher gilt es, selbst im Wort Gottes zu forschen, zu studieren und zu lesen, damit die Quelle des Lebens und der Wahrheit unser Fundament und Halt ist und so dem Anliegen Jesu Folge geleistet wird: „Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit“ (Johannes 17,17). Als gläubige Pädagogen brauchen wir keine Quellenscheidung oder Bibelkritik, sondern wir sollten dem unzweideutigen Wort Gottes vertrauen. Jesus selbst betont: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Matthäus 24,35). Jesus Christus hatte eine eindeutige Botschaft, die auf Langzeitwirkung mit Ewigkeitsperspektive angelegt ist.

3. Jesus und das Klassenzimmer

Anstatt eines Klassenzimmers nutzte Jesus jede ihm sich bietende Gelegenheit oder Räumlichkeit, ob nun in der Synagoge, im Privathaus, auf dem Markt, auf dem Berg, im Tempel oder am Straßenrand. Er nutzte jede Gelegenheit, um Menschen zu lehren und ihnen Erziehungshilfen an die Hand zu geben. War das Gedränge zu groß, dann nutzte er ein Boot als schwimmendes Klassenzimmer. Er beschränkte sein Wirken nicht auf wenige Orte. Pädagoge sollte nicht nur ein Beruf, sondern vielmehr Berufung sein. Jesus wollte Menschen erreichen und prägen, genauso wie Erzieher und Lehrer. Er nutzte dazu Einzelgespräche (vgl. Nikodemus) oder das Unterrichtsgespräch in der großen Volksmenge oder auch die Gruppenarbeit (vgl. Jakobus, Petrus und Johannes). Ganz besonders viel Lehrenergie investierte er in seine Jünger. Er war ihr Klassenlehrer, der sie mit göttlicher Lehre fütterte, um sie auf das Leben ohne seine leibliche Gegenwart vorzubereiten. Ist es nicht genau das, was Pädagogen antreibt? Das Ziel der Erziehung und aller Lehre ist doch, die neue Generation zu mündigen Bürgern zu machen, damit sie die Zukunft – mit Gottesperspektive – außerhalb des Klassenzimmers gestalten können.

4. Jesus als Lehrer

Wenn wir die Lehrtätigkeit des Herrn unter die Lupe nehmen, können wir Prinzipien des Lehrens ableiten. Im Folgenden versuchen wir, einige übergeordnete didaktische Prinzipien in Jesu Lehrtätigkeit zu entdecken und darunter methodische Schritte anzuordnen.

4.1 Prinzip Vollmacht

Seine Vollmacht[vii] basierte auf der Abhängigkeit vom Vater.[viii] Dieses Bekenntnis war kein Zeichen von Schwäche. Auf dem Weg zum Kreuz zeigt sich seine Vollmacht in Demut und Selbstaufgabe, was die Vorbedingung für eine vollmächtige Stellung und einen vollmächtigen Dienst ist – unabhängig vom Arbeitsumfeld.

Jesus lebte was er lehrte. Die völlige Übereinstimmung von Wort und Tat ist einmalig, aber dennoch nachahmungswert. Deshalb wurde seine Lehre glaubwürdig und er als Person für die Menschen anziehend - im Gegensatz zu den schriftgelehrten Theoretikern. Seine Zuhörer merkten, dass er ihnen nichts vorheuchelte, sondern mit seinem Leben dahinterstand.

Jesus kannte sich in der damaligen Bibel bestens aus. Im Gespräch mit dem Theologieprofessor Nikodemus[ix], am Ende der Bergpredigt[x] oder in der Versuchungsgeschichte[xi] wird sehr deutlich, wie Schriftkenntnis den Lehrer autorisiert. Die Schüler bemerken die gelebte Sachkenntnis.

4.2 Prinzip Vorbild

Das, was Jesus von seinen Schülern erwartete, lebte er vor. Gerade Lehrern und Erziehern kommt in der Begleitung Heranwachsender eine bedeutende Vorbildrolle zu. Sie sind nicht nur Wissensvermittler. Ich muss Verantwortung für mein Handeln und Tun im Alltag übernehmen. Jesus ist dabei der Bezugspunkt, denn die Menschen damals orientierten sich an ihm, der keine Mühe und Arbeit scheute und sich Zeit für den Einzelnen nahm. Als es daran ging, einander zu dienen, band sich Jesus kurzerhand selbst die Schürze um und wusch seinen Jüngern die Füße. Das war ein Beispiel, das im Bewusstsein seiner Anhänger tief verankert wurde. Nicht umsonst schreibt ein Augenzeuge später: „Meine Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit“ (1. Johannes 3,18). Das, was die Jünger an ihrem Herrn und Lehrer sehen und hören konnten, haben sie nicht vergessen. Auch heutzutage gilt, dass das Modellernen nach wie vor eine der wirkungsvollsten Lernarten ist. Deshalb können wir nicht genug Wert auf ein gutes Vorbild legen!

4.3 Prinzip Anschaulichkeit und Handlungsorientierung

Gleichnisse und das Reden in Bildern waren Unterrichtsmerkmale bei Jesus. Dabei knüpfte Jesus an die Lebenswelt seiner Mitmenschen und Zuhörer an. Das Wissen über Gott vermittelte er in einer bilderreichen und lebensnahen Botschaft und nicht anhand von abstraktem Fachvokabular. Seine Gleichnisse – auch wenn sie zur Wahrheitsvermittlung wie zur Verschlüsselung dieser dienten – hatten immer einen Berührungspunkt mit der Wirklichkeit. Sie dienten einem Kerngedanken. Gerade in der medialen Bilder- und Informationsflut ist es wichtig, den Heranwachsenden praxisorientiert, lebensnah und anschaulich die Lerninhalte des Unterrichts weiterzugeben. So wie Jesus seine Botschaft verständlich, praxisnah und nachvollziehbar vermittelte, sollte auch der Alltagsstoff vermittelt werden. Dabei darf man das Wechselspiel zwischen Belehrung und praktischen Aufgaben nutzen, so wie es Jesus tat. Nach einer ausführlichen Belehrung folgte beim Brotwunder[xii] eine praktische Aufgabe. Die Jünger sollten für die leibliche Nahrung sorgen. Hier konnte Jesus überprüfen, wie viel sie von dem vermittelten Stoff wirklich verstanden hatten. Auf die Theorie des Glaubens folgten Anwendungsmöglichkeiten, in die der Lehrer sie ganz bewusst hineinführte. Nach der praktischen Handlung folgte erneut eine Belehrung. Bei Jesus griffen theoretischer und handelnder Unterricht ineinander. Der gute Lehrer führt deshalb seine Schüler bewusst an Aufgaben heran. Jesus nutzte ergänzend auch die nonverbale Wissensvermittlung. „Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde“ (Johannes 8,6). Jesus, der Lehrer, gibt hier erste Denkanstöße und ruft die Sachkenntnis den Umherstehenden ins Gedächtnis. Er knüpft somit an das Vorwissen an, das die Juden von der Thora her mitbrachten, bevor er seine weitere Belehrung daran anschloss. Zu guter Letzt weckte die Anschaulichkeit Jesu die Neugier seiner Begleiter. Menschen verschiedener Bildungsgrade, unterschiedlicher Herkunft und Abstammung wurden durch seine Lehren angesprochen. Dabei brachte er die größte Anschaulichkeit durch sein Vorbild.

5. Jesus und Herzensbildung

Der Sohn Gottes suchte seine Mitmenschen. Tagtäglich stellte er sich neuen Herausforderungen. Auch wenn der zu vermittelnde Stoff immer derselbe war: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,14)[xiii] Er zielte nicht nur auf Verhaltensveränderung ab, sondern immer auf Herzensbildung und -veränderung. Lehre war bei ihm Seelsorge. Dabei war er sehr aufmerksam und kommunizierte viel mit den Menschen. Als christliche Pädagogen sollten wir im Klassenzimmer und auch außerhalb eine Atmosphäre der Offenheit gestalten, um gute Zuhörer sein zu können. Die junge Generation benötigt Anleitung, um Dinge anhand biblischer Maßstäbe selbst zu beurteilen und eigene Überzeugungen zu gewinnen.

Hierzu hilft uns abermals Jesus, der auch als niveaudifferenzierter Pädagoge unterwegs war. Mehr dazu finden Sie in der kommenden Ausgabe.

Hartmut Jaeger, Jg. 1958, ist verheiratet, Vater von drei Töchtern, ausgebildeter Lehrer, Geschäftsführer bei der Christlichen Verlagsgesellschaft in Dillenburg und Referent und Autor.

Henrik Mohn ist Realschullehrer an der Freien Evangelischen Schule Böblingen. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

 

[i] Pirner, M. L. (2008): Christliche Pädagogik. Grundsatzüberlegungen, empirische Befunde und konzeptionelle Leitlinien, Kohlhammer, Stuttgart, S. 15.

[ii] Pirner (2008): S. 16.

[iii] Volk, A. (2018): Wie prägen wir unsere Kinder? Ein biblischer Erziehungsansatz, Daniel-Verlag, Lychen, S. 70 u. 77.

[iv] Vgl. Römer 8,29 u. 12,2; Hebräer 5,14; Kolosser 1,9-10.

[v] Vgl. 2. Mose 4,12.

[vi] Markus 1,21.

[vii] „verliehene Macht“

[viii] Siehe Artikel „Jesus als Pädagoge – Prinzipien geistlicher Prägung“ in: Glaube+Erziehung 01/2019.

[ix] Johannes 3,14ff.

[x] Matthäus 7,28-29.

[xi] Matthäus 4,1ff.

[xii] Johannes 6,1ff.

[xiii] Hervorhebung durch die Autoren.